Kolonial, trendy und politisch: Streetart in der Candelaria

Vierzehn Stunden Flug, sieben Stunden Zeitunterschied, der (oder das?) Jetlag hat mich wieder. Immerhin habe ich – nach deutschen Maßstäben – bis fast 11 Uhr geschlafen. Hier in Bogota war das 4 Uhr früh…

Diesmal wohne ich mitten in der Candelaria, der kolonialen Altstadt, dem touristischen Hotspot. Ich treffe mich mit Annemone, der Geografin aus Berlin, die seit vielen Jahren als Tourguide hier lebt. Kennengelernt habe ich sie schon bei meiner letzten Reise, als sie mir die Graffitis eben hier, in Bogotas historischer Innenstadt gezeigt hat.

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Denkmalschutz scheint ein Fremdwort zu sein, selbst das älteste Haus Bogotas ziert ein Graffiti. Die meisten kolonialen Häuser hier in der Candelaria scheinen eh Hostels oder In-Kneipen zu sein, von musealer Stimmung keine Spur.

Hier lebten einst die Muisca, rund eine halbe Million, bevor die spanischen Eroberer auf der Suche nach dem legendären El Dorado die Küsten verließen. Viele indigene Spuren finde ich in den Graffitis, geometrische Formen, Figuren wie den großen Krieger, aber auch Geschichten wie die der Floßfahrt auf dem See, wo den Göttern Gold geopfert wurde.

Gonzalo Jiménez de Quesada hieß der Mann, der im Jahr 1536 mit 500 Soldaten nach El Dorado aufbrach. Knapp ein Jahr später erreichte er mit den 70 verbliebenen Männern das Gebiet der Muisca. Hier, am Fuße der beiden  Kordillierenberge Monserrate und Guadalupe gründete er Santa Fe, später Santa Fe de Bogota. Der 6. August 1538 gilt offiziell als Stadtgründungstag. 

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Die Graffitis schlagen eine Brücke durch die Zeiten, sie verbinden die präkoloniale, indigene Geschichte mit der aktuellen politischen Situation des Kriegs, der Vertreibungen und der Ökologie. Viele beschreiben die moderne Kolonisierung durch internationale Konzerne wie Monsanto, die die traditionelle Landwirtschaft ruinieren und Menschen vertreiben, auch heute geht es um El Dorado, um den Zugang zu Bodenschätzen, die Hintergrund vieler Auseinandersetzungen sind. Anklagend und kämpferisch sind viele Wandbilder, und doch …

Auch in der Straßenkunst der magische Realismus Lateinamerikas – und immer wieder die Hoffnung. Und nicht nur in der historischen Candelaria, auch entlang der großen Ausfallstraßen erzählen überdimensionale Wandbilder Geschichten. Warum hat sich gerade Bogota zu einem der Top Ten Hotspots der weltweiten Streetart-Szene entwickelt? frage ich Annemone.

Das, meint sie, hat mit der Rechtslage zu tun. Wenn du in Deutschland beim Sprayen erwischt wirst, zahlst du fünfstellige Beträge und hast einen Eintrag im Vorstrafenregister. Hier sind es 50, vielleicht 60 Dollar. Und viele Hausbesitzer freuen sich, denn ein schönes Graffiti schützt vor Tags. Außerdem unterstützt die Stadt die Straßenkunst. 

Wir bummeln durch die Altstadt, schauen Wandbilder an und kommen von einem Thema zum nächsten. Was ist passiert im Land seit Oktober, als ich zuletzt hier war? Der nachgebesserte Friedensvertrag ist unterschrieben, diesmal ohne Volksabstimmung, das weiß ich, aber wie steht es wirklich um den Friedensprozess? ​​

​ Das war das Ende meines Handy-Speicherplatzes, und ich hab’s nicht gemerkt … Der Verteilungskampf um die von der Guerilla geräumten Gebiete sei in vollem Gang, bewaffnete Banden vertreiben wieder Menschen. Und die Verhandlungen mit der anderen Rebellen-Gruppe stocken, es hat wieder Entführungen gegeben. 

Die Zahl der Morde insgesamt ist zurück gegangen, aber die Zahl der Morde an Menschenrechtsaktivisten ist gestiegen.

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