Barcelona, am Tag nach dem Anschlag

Beim Rausgehen aus dem Kaufhaus plötzlich laufende, schreiende, sich ängstlich umdrehende Menschen, uns entgegen, rein ins Kaufhaus, immer mehr. Die Kinder rennen los, mit der Masse. „Halt, bleibt hier!“ Wohin? Weg von den Vielen, raus aus den großen, offenen Räumen, schnell, ins Treppenhaus! Doch so weit kommen wir gar nicht, der Tumult legt sich so schnell wie er begonnen hat. Nichts war los, sagt die Verkäuferin. Irgendjemand erschrickt, fängt an zu laufen und alle hinterher. So ist das heute hier. So funktioniert Angst, so funktioniert Terror. Die Kinder zittern noch lang.

Draußen auf der Placa Catalunya dominieren die Stative und Satellitenschüsseln der Fernsehteams das Bild, Carlina meint, hier könne man bestimmt alle Kameras ausprobieren, die grad so auf dem Markt sind. Weiter hinten Blaulicht, von allen Seiten nähern sich kleine Demonstrationszüge – „Barcelona open City“, aber auch „Refugees not welcome“.

War es richtig, hier zu bleiben?

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Gestern.

Eine halbe Stunde vor Barcelona zücke ich mein Handy, um nach Campingplätzen zu suchen. Statt Adressen von Campingplätzen spuckt es Eilmeldungen aus: Kleinlaster rast in Menschenmenge auf den Ramblas. Die Meldung ist 20 Minuten alt. Wir schalten das Radio ein, wild durcheinander redende aufgeregte Reporter, zwischendurch Fernsehton, nichts Genaues weiß niemand, außer dass Menschen tot und verletzt sind und Täter auf der Flucht. In einem Café sollen sie sich verschanzt haben und Geiseln genommen.

Was tun? Es war eine Spontanidee, aus der Bergeinsamkeit der französischen Pyrenäen für ein paar Tage auf den Kulturtrip zu gehen. Abend ist es, wir sitzen schon lange im Auto, die Kinder sind müde – für heute Nacht bleiben wir auf jeden Fall. Wir entscheiden uns für den Campingplatz, der am weitesten draußen ist. Doch um dahin zu kommen, müssen wir erst mal ziemlich durch die Stadt.

Es staut, wir haben Zeit zum facebook-live-Videos der Tagesschau gucken und Radio hören – machen wir aber bald nicht mehr, der Stress-Tonus übersteigt bei weitem den Nachrichtenwert. Stattdessen reden wir. Warum tut jemand so etwas? Wie wird ein Mensch zum Terroristen? Was wollen die? Dann sehen wir die Ursache der Staus: immer professionellere Polizeisperren an den Ausfallstraßen, erst stand da nur ein einsames Polizeiauto, eine halbe Stunde später und wenige Kilometer weiter verengen schon sechs ährenartig angeordnete Fahrzeuge die dreispurige Stadtautobahn auf eine Spur, es wimmelt von Polizisten in schusssicheren Westen, die jedes Auto einzeln durchwinken. Später hören wir von dem Auto, das in eine solche Straßensperre rast – war es die, durch die wir kurz vorher gefahren sind?

Die Rezeptionistin am Campingplatz ist professionell freundlich, bis ich sie frage, ob es in der letzten Stunde Neues gab? Sofort kommt die Betroffenheit durch, die Nerven unter der Fassade. Sie spricht schneller, ein Kind hat angerufen, es hat seine Eltern verloren, aber inzwischen hat sie die Eltern erreicht, Eltern und Kind sind nicht zusammen, aber in Sicherheit, Gott sei Dank. Viele Gäste melden sich, weil sie in der Stadt festsitzen, der Shuttlebus kann sie nicht an der Placa Catalunya abholen, es gibt eine Ersatzhaltestelle, aber sie hat immer noch nicht alle erreicht, die heute mit dem Bus in die Stadt gefahren sind, an manche Handys geht niemand.

Als die Kinder im Bett sind, versuche ich, mir im Netz ein Bild zu machen. Twitter zu lesen gebe ich bald auf, mir wird schlecht angesichts der Kommentare. Morgens empfängt mich die Nachricht des zweiten Anschlags und die, dass ein Täter immer noch auf der Flucht ist. Hm. Ach ja, und der König kommt zur Schweigeminute nach Barcelona. Na dann. „Barcelona ist heute der sicherste Platz der Welt,“ beruhige ich die Kinder und mich. „Jeder verfügbare Polizist ist hier und passt auf.“ Und außerdem lassen wir „die“ nicht gewinnen, die, die uns Angst machen wollen. Zur Schweigeminute mit dem König gehen wir nicht, auch nicht auf die Ramblas.

Stattdessen das.

Wir schlendern zum Palau de la Musica Catalana. Das Sonnenlicht fällt durch die Jugendstil-Glaskuppel, überall Pflanzenornamente, Rosen, alles hier ist heiter, verspielt und fröhlich.  Während unserer Führung spielt sich der Pianist für sein abendliches Konzert ein. Die Musik glitzert und perlt durch den Saal, füllt ihn mit Leichtigkeit, Lebensfreude und Lächeln. Kann Kunst, kann Schönheit heilen?

Auch das ist Barcelona am Tag nach dem Anschlag.

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